Die Eskalation in der Region Berg-Karabach ist zwar vorerst beruhigt, die Lage aber fragil.
22.09.2023 - 15:40:31Armenien bereitet Aufnahme von Karabach-Armeniern vor. Die Konfliktparteien überziehen sich vor den Vereinten Nationen mit schweren Vorwüfen.
Die Ex-Sowjetrepublik Armenien im Südkaukasus bereitet sich auf eine mögliche Evakuierung von Armeniern aus dem von Aserbaidschan eroberten Gebiet Berg-Karabach vor. Der armenische Ministerpräsident Nikol Paschinjan sagte in Eriwan, 40.000 Plätze seien vorbereitet. Es wäre besser, wenn die Karabach-Armenier in ihren Häusern bleiben könnten, sagte er bei einer Regierungssitzung. Es könne aber sein, dass dies unmöglich werde. «Wenn sich die Lage verschlechtert, wird dieses Problem für jeden von uns auf der Tagesordnung stehen.»
In Berg-Karabach war die Lage heute weitgehend ruhig. Die Region im Südkaukasus liegt auf dem Gebiet Aserbaidschans, wird aber von ethnischen Armeniern bewohnt. Mit einer Militäraktion am Dienstag und Mittwoch hat Aserbaidschan die Karabach-Streitkräfte zur Aufgabe gezwungen. Durch den Angriff wurden laut armenischen Medien mehr als 200 Menschen getötet und mehr als 400 verletzt. Gestern gab es Gespräche über die Eingliederung der nicht anerkannten Republik in die Strukturen Aserbaidschans, die aber kein Ergebnis brachten.
Vorwürfe im UN-Sicherheitsrat
Die Karabach-Armenier, immer noch mehrere Zehntausend Menschen, befürchten, aus ihrer Heimat vertrieben oder im autoritär geführten Aserbaidschan unterdrückt zu werden. Im UN-Sicherheitsrat in New York warf der armenische Außenminister Ararat Mirzoyan Aserbaidschan ethnische Säuberungen vor. Dessen Außenminister Jeyhun Bayramov wiederum sprach von einem Vorgehen gegen Terroristen in Karabach.
Der außenpolitische Berater des aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Aliyev bemühte sich, Ängste der Karabach-Armenier zu zerstreuen. Er habe in Baku Vereinbarungen mit Vertretern des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz IKRK getroffen, schrieb Berater Hikmet Hajiyev im sozialen Netzwerk X (früher Twitter).
Humanitäre Hilfe könne über den Latschin-Korridor und aus der aserbaidschanischen Stadt Agdam nach Karabach gebracht werden. Der Latschin-Korridor ist die seit Monaten von Aserbaidschan gesperrte Straßenverbindung zwischen Berg-Karabach und dem armenischen Mutterland.
Verwundete armenische Soldaten sollten über das Rote Kreuz Hilfe bekommen, schrieb Hajiyev. Die russischen Friedenstruppen vor Ort sollten bei der Bergung von Toten helfen. Wer als armenischer Soldat die Waffen niederlege, dürfe frei abziehen. Wer Karabach verlassen wolle, dürfe dies über den Latschin-Korridor Richtung Armenien tun - wobei dies genau der Gang ins Exil wäre, den die Armenier fürchten.
Proteste in Eriwan
Armenien ist mit den Landsleuten in Karabach solidarisch. Nach einem verlorenen Krieg 2020 gegen Aserbaidschan will die Führung um Paschinjan aber vermeiden, dass der Konflikt auf sein Land übergreift. In Eriwan gab es heute wie an den Vortagen Proteste gegen die aus Sicht der Demonstranten zu nachgiebige Haltung Paschinjans gegenüber Baku. Es gab nach Medienberichten Dutzende Festnahmen.
Im UN-Sicherheitsrat bekräftigte auch der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell seine uneingeschränkte Solidarität mit Armenien und kündigte Unterstützung an. «Die EU und ihre Mitgliedsstaaten stehen bereit, um dringend humanitäre Hilfe zu leisten», sagte er gestern Abend. Aserbaidschan trage die Verantwortung dafür, dass die Rechte und die Sicherheit der Armenier in Karabach uneingeschränkt geachtet würden.