Der Gaza-Krieg steht vor der nächsten Phase.
22.10.2023 - 05:13:23Israel will Kampfeinsatz gegen Hamas ausweiten. Israel will die Einsätze gegen die Hamas ausweiten. Angesichts einer drohenden Eskalation verlegen die USA weitere Waffensysteme in die Region. Der Überblick.
Israel will das militärische Vorgehen gegen die islamistische Hamas im Gazastreifen nach zweiwöchigem Bombardement nun ausweiten. «Wir erhöhen die Angriffe und minimieren die Gefahr», zitierten israelische Medien Armeesprecher Daniel Hagari am Samstag. «Wir müssen unter den besten Bedingungen in die nächste Phase des Krieges eintreten.» Unklar ist, ob damit die erwartete Bodenoffensive gemeint ist.
Unterdessen gingen die Raketenangriffe militanter Palästinenser im Gazastreifen auf Israel unvermindert weiter. Im Großraum Tel Aviv gab es am Sonntagmorgen erneut Raketenalarm, wie die israelische Armee mitteilte. Der Rettungsdienst Magen David Adom teilte mit, es gebe bisher keine Berichte über Verletzte.
Nach eigenen Angaben tötete das israelische Militär bei Bombenangriffen im Gazastreifen weitere Terroristen der islamistischen Hamas. Wie die Armee am Sonntagmorgen auf Telegram bekanntgab, kam am Vortag unter anderem ein Mitglied der Hamas-Sturmeinheit «Nuchba» (Deutsch: Elite) bei den Angriffen ums Leben. «Nuchba»-Terroristen gehörten zu den Kräften, die das Eindringen nach Israel am 7. Oktober anführten. Seit dem Terroranschlag sind in Israel mehr als 1400 Tote zu beklagen. Seither fliegt Israels Luftwaffe massive Bombenangriffe im Gazastreifen.
Angesichts einer drohenden Eskalation in dem Konflikt ordnete das Pentagon die Verlegung weitere Waffensysteme ins östliche Mittelmeer an. Derweil geht Israel auch im besetzten Westjordanland verstärkt gegen militante Palästinenser vor. In der Nacht zum Sonntag griff die Armee nach eigenen Angaben vor einem geplanten Anschlag eine «Terrorzelle» in einer Moschee im Flüchtlingslager Dschenin an.
Israel bombardiert «Terrorzelle» in Moschee
In der Al-Ansar-Moschee habe sich ein unterirdischer «Terrorkomplex» der islamistischen Hamas und des Islamischen Dschihad befunden, die einen weiteren Terroranschlag geplant hätten, teilte das israelische Militär auf Telegram mit. Unbestätigten Medienberichten zufolge kamen bei dem Angriff zwei Palästinenser ums Leben. Auch an der Grenze Israels zum Libanon gab es zuvor wieder gewaltsame Zwischenfälle. Israels Armee griff nach erneutem Beschuss aus dem Libanon eigenen Angaben zufolge «Terrorzellen» in Südlibanon an. Im Libanon operiert die pro-iranische Schiitenmiliz Hisbollah. Die habe sich «dazu entschieden, an den Kämpfen teilzunehmen», sagte Israels Verteidigungsminister Joav Galant am Samstag laut seinem Büro.
Nach Gesprächen mit US-Präsident Joe Biden über die «jüngsten Eskalationen durch den Iran und seine Stellvertreter» in der gesamten Nahostregion habe er die Verlegung weiterer Waffensystemen angeordnet, gab US-Verteidigungsminister Lloyd Austin in einer Mitteilung bekannt. Er habe die Stationierung einer Batterie des hochmodernen Raketenabwehrsystems THAAD sowie Einheiten des schlagkräftigen Patriot-Luftabwehrsystems in der Region befohlen. Zuvor hatten die USA zur Abschreckung bereits mehrere Kriegsschiffe und Luftwaffengeschwader in die Region verlegt.
Sie dienten zur Abschreckung, zum erhöhten Schutz der US-Streitkräfte in der Region und zur Unterstützung der Verteidigung Israels, hieß es. Derweil steht im Gazastreifen eine weitere Intensivierung der Angriffe bevor: «Wir werden den Gazastreifen für eine operative, professionelle Mission betreten: zur Zerstörung von Hamas-Aktivisten und der Infrastruktur, kündigte Israels Armeechef Herzi Halevi an.
Seit dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober, bei dem 1400 Menschen in Israel getötet und mehr als 200 Menschen als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt wurden, hat Israels Armee Hunderte von Zielen im Gazastreifen am Mittelmeer bombardiert. Die meisten der bei dem Hamas-Angriff in Israel getöteten Menschen waren offiziellen Angaben zufolge Zivilisten. Nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums im Gazastreifen kamen dort bislang 4651 Palästinenser ums Leben. Darunter sollen 1873 Jugendliche sowie 1023 Frauen sein, wie ein Sprecher am Sonntag in Gaza mitteilte. Die Zahlen waren zunächst nicht unabhängig zu überprüfen. 14.245 Palästinenser wurden demnach verletzt.
UN zur Lage im Gazastreifen: Die Welt muss mehr tun
Die humanitären UN-Organisationen warnen ungeachtet der ersten Lieferungen von Hilfsgütern in den Gazastreifen vor einer weiter drohenden Verschlechterung der Lage dort. Sie forderten am Samstagabend eine Feuerpause und ungehinderten Zugang für humanitäre Helfer und Hilfsgüter.
Die Hilfslieferungen gehen derweil in sehr kleinen Schritten voran. Ein zweiter Konvoi aus 17 Lastwagen fuhr am Sonntag von Ägypten aus in den Transitbereich der gemeinsamen Grenze, um dringend benötigte Hilfsgüter in die Küstenenklave zu bringen, wie der Ägyptische Rote Halbmond mitteilte und wie auf Bildern im staatlichen Fernsehen zu sehen war. Die Laster haben demnach unter anderem Arzneimittel, Essen und andere Hilfsgüter geladen. Weitere 155 Lastwagen mit etwa 3000 Tonnen Gütern warteten nach wie vor auf Durchfahrt.
Am Samstag hatte die Lieferung von Hilfsgütern aus Ägypten für die Menschen im Gazastreifen begonnen - die erste Lieferung dieser Art seit Beginn des Kriegs zwischen der im Gazastreifen herrschenden islamistischen Hamas und Israel. Geliefert wurden mit 20 Lastwagen unter anderem Arzneimittel, Essen und andere Hilfsgüter.
Die Mengen sind weiterhin verschwindend gering mit Blick auf den tatsächlichen Bedarf im Gazastreifen, wo gut zwei Millionen Menschen leben. Dort waren schon vor Kriegsbeginn 60 Prozent der Bevölkerung auf humanitäre Hilfe des UN-Palästinenserhilfswerks UNRWA angewiesen. Die UN gehen aktuell davon aus, dass es für eine Versorgung mit Hilfsgütern rund 100 Lastwagenladungen täglich bräuchte.
Hoffnung auf Freilassung weiterer Geiseln
Nach der Freilassung zweier US-Geiseln aus Gefangenschaft der Hamas gibt es vorsichtige Hoffnung auf Freilassung weiterer Geiseln. Dies sei «ein kleiner Funken Hoffnung auch für andere», sagte Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) nach dem Nahost-Gipfel in Kairo. Die Geiseln, darunter Deutsche, seien dabei zentrales Thema gewesen. Katar, das die Freilassung der ersten beiden Geiseln vermittelt hatte, äußerte sich optimistisch. «Wir sind auf einem Weg, der sehr bald zur Freilassung der Geiseln, insbesondere der Zivilisten, führen wird», sagte Madschid al-Ansari, Sprecher des Außenministeriums, der «Welt am Sonntag». Über eine Freilassung israelischer Soldaten will die Hamas laut einem Sprecher aber erst nach dem Krieg verhandeln.
Derweil wollen nach israelischen Militärangaben mehr ultraorthodoxe Juden in der Armee dienen. Die Anfragen aus dieser Gruppe nähmen im Gaza-Krieg zu, sagte Armeesprecher Hagari am Samstag. Viele strengreligiöse Männer versuchen normalerweise, den Militärdienst zu vermeiden, was in anderen Bevölkerungsteilen für großen Ärger sorgt. Die Armee habe in den vergangenen Tagen nun aber mehr als 2000 Anfragen von Ultraorthodoxen erhalten. Ab Montag will das Militär eigenen Angaben nach mit der Einberufung der Freiwilligen beginnen.
Türkei und Ägypten wollen Ende der Gewalt
Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan telefonierte unterdessen mit dem Chef der Hamas, Ismail Hanija, und tauschte sich mit diesem über die Lage im Gazastreifen aus. Wie der Pressedienst der türkischen Regierung am Samstag auf der Plattform X mitteilte, betonte Erdogan dabei, dass sich die Türkei weiter für eine baldmögliche Waffenruhe in der Region einsetzen werde.
Ägypten setzt sich auch nach dem Gipfeltreffen in Kairo für eine Zwei-Staaten-Lösung zwischen Israelis und Palästinensern ein. Ein «unabhängiger palästinensischer Staat» müsse in kurzer Zeit entstehen, wenn die aktuelle Krise zu einem «neuen politischen Geist» geführt habe, teilte das ägyptische Präsidialamt am Samstag mit. «Die Palästinenser müssen alle Rechte genießen, die andere Menschen genießen» - allem voran ein Staat, der ihre Identität verkörpere.
Das wird am Sonntag wichtig
In Berlin ist eine große Demonstration aus Solidarität mit Israel geplant. Derweil bereitet Israel weiter eine Bodenoffensive im Gazastreifen vor. Die Lage der Menschen in dem von Israel abgeriegelten Gebiet ist auch nach dem Eintreffen erster Hilfsgüter katastrophal und droht sich nach Einschätzung der Vereinten Nationen weiter zu verschlechtern.