Das Schicksal Zehntausender Armenier und Armenierinnen in Berg-Karabach ist in der Schwebe.
24.09.2023 - 17:06:12Erste Flüchtlinge aus Berg-Karabach kommen nach Armenien. Armenien verlangt, sie mit einer UN-Mission zu schützen. Doch die große Ausreise scheint zu beginnen.
Nach der Eroberung des Gebietes Berg-Karabach im Südkaukasus durch Aserbaidschan sind erste Flüchtlinge aus der armenischen Bevölkerung ins Mutterland Armenien evakuiert worden. Am späten Abend sprach die armenische Regierung auf Facebook von 1050 Personen, die aus Berg-Karabach nach Armenien einreisten. Am Nachmittag war noch von 377 Menschen die Rede gewesen.
Der armenische Außenminister Ararat Mirsojan forderte bei den Vereinten Nationen in New York eine UN-Mission, um die mehreren Zehntausend Armenier in Berg-Karabach zu schützen. In Eriwan bekräftigte Ministerpräsident Nikol Paschinjan heute die Bereitschaft Armeniens, die Karabach-Armenier aufzunehmen.
Karabach-Armenier befürchten Vertreibung
Nach kurzen heftigen Angriffen des aserbaidschanischen Militärs vergangene Woche hatten die Verteidiger der international nicht anerkannten Republik Berg-Karabach vergangene Woche die Waffen strecken müssen. Aserbaidschan will das Gebiet wiedereingliedern. Die Karabach-Armenier befürchten eine Vertreibung oder nach Jahrzehnten des Konflikts die Rache des autoritär geführten Aserbaidschans.
In der Hauptstadt Stepanakert drängen sich nach den Angriffen Flüchtlinge aus anderen Regionen von Berg-Karabach. Damit wurden Lebensmittel und Medikamente noch knapper, als sie es nach Monaten der Blockade ohnehin sind. «Familien, die nach der jüngsten Militäroperation obdachlos sind und die aus der Republik ausreisen wollen, werden nach Armenien gebracht», teilte die Führung in Stepanakert am Sonntag mit. Dies werde in Begleitung russischer Friedenstruppen in der Region geschehen.
Außenminister fordert sofortige UN-Mission
US-Außenminister Antony Blinken zeigte sich besorgt über die Lage der armenischen Bevölkerung in Berg-Karabach. Die USA unterstützten auch die Souveränität und territoriale Integrität Armeniens, schrieb er nach einem Telefonat mit Paschinjan im sozialen Netzwerk X (früher Twitter). Auch Bundeskanzler Olaf Scholz sagte in einem Gespräch mit Paschinjan, dass die Karabach-Armenier geschützt werden müssen.
Die «wahrlich verheerenden Entwicklungen» in der Region hätten gezeigt, dass die Probleme «nicht allein durch Stellungnahmen und allgemeine Aufrufe» gelöst werden könnten - das sagte Armeniens Außenminister Mirsojan gestern in New York. Es müsse sofort eine UN-Mission nach Berg-Karabach entsandt werden, um die Menschenrechtslage sowie die humanitäre Lage und Sicherheitssituation zu überwachen.
Paschinjan: Politik ethnischer Säuberungen
Es sei mit einem wachsenden Strom an Flüchtlingen zu rechnen, weil Aserbaidschan eine Politik ethnischer Säuberungen verfolge, sagte Paschinjan. Die armenische Regierung sei bereit, die Bevölkerung von Karabach aufzunehmen, wenn alle Versuche scheiterten, deren Rechte vor Ort zu schützen.
Paschinjan soll am 5. Oktober im Rahmen des Treffens der Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG) im spanischen Granada mit dem aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Aliyev für Gespräche zusammenkommen. In Vorbereitung dieser treffen sich Vertreter Armeniens, Aserbaidschans, Deutschlands, Frankreichs und der EU am kommenden Dienstag in Brüssel, wie die armenische Nachrichtenagentur Armenpress unter Berufung auf die Regierung berichtete.
Derweil wurden verwundete Soldaten der Karabach-Armenier mit Krankenwagen nach Armenien gebracht. Der Konvoi werde vom Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) begleitet, teilte das armenische Gesundheitsministerium in Eriwan mit. Die Rede war von 23 Verwundeten. Am Samstag hatte das IKRK geholfen, verwundete Soldaten aus mehreren Regionen Karabachs in Stepanakert zu sammeln.
Paschinjan zeigte sich in einer Videobotschaft an die Bevölkerung erneut enttäuscht über die bisherige Schutzmacht Russland. Die Friedenstruppen hätten die Karabach-Armenier nicht geschützt, wie 2020 vereinbart. Armenien müsse seine Sicherheitspolitik umstellen, sich stärker auf sich selbst verlassen und andere Partner suchen.