Das größte Krankenhaus im Gazastreifen rückt immer mehr in den Fokus der Kämpfe.
13.11.2023 - 17:34:39Klinik an der Front - das Schifa-Krankenhaus. Über die Lage vor Ort kursieren von beiden Seiten viele Informationen. Eine Übersicht.
Im Zentrum des Kriegs im Gazastreifen steht aktuell das Schifa-Krankenhaus. Wegen Treibstoffmangels musste die größte Klinik des abgeriegelten Küstengebiets den Betrieb einstellen. Tausende Menschen sitzen Augenzeugen zufolge noch in der Einrichtung fest. In der nahen Umgebung des Gebäudes wird heftig gekämpft. Es gilt in Israel als strategisch wichtig, weil die Armee darunter die Kommandozentrale der islamistischen Hamas vermutet. Was wir über die Klinik und die Lage vor Ort wissen - und was nicht:
Warum ist das Krankenhaus im Fokus der Kämpfe?
Das israelische Militär beschuldigt die Terrororganisation Hamas, unter dem Gebäude ihre Hauptkommandozentrale zu verstecken. Dazu legte die Armee vor rund drei Wochen nach eigenen Angaben Geheimdienstinformationen vor. Satellitenaufnahmen sowie eine Audioaufnahme sollen die Existenz des Hamas-Lagers dokumentieren. Unabhängig waren die Informationen jedoch nicht zu überprüfen. Die Hamas sowie Personal des Krankenhauses dementieren die Anschuldigung.
Israelischen Medienberichten zufolge könnte sich zudem in dem mutmaßlichen Tunnelsystem unter der Klinik ein Teil der von der Hamas verschleppten rund 240 Geiseln befinden. Offiziell äußerte sich bislang kein israelischer Vertreter zu der Vermutung.
Welche Rolle spielt das weitreichende Tunnelsystem?
Nach Darstellung Israels soll die Schifa-Klinik an das kilometerlange unterirdische Tunnelnetz der Hamas angebunden sein. Mehrere Eingänge sollen sich auch innerhalb der Klinik befinden. Ein früherer Mitarbeiter des israelischen Geheimdienstes sagte der «New York Times», dass sich in den Räumen unter der Klinik Hunderte Menschen verstecken könnten. Demnach gehe Israel davon aus, dass auf mehreren Etagen unter der Erde Besprechungsräume, Wohnräume sowie Lagerräume gebaut wurden.
Umfassende Beweise dafür legte das Militär nicht vor. Der Umfang des Tunnelsystems in Gaza ist Experten zufolge umstritten. Auch für das Militär ist es größtenteils eine Blackbox. Häufig ist von Hunderten Tunneln mit einer Gesamtlänge von 500 Kilometern die Rede. Das Tunnelsystem soll mit dem südlichen Teil des Gazastreifens verbunden sein.
Wird Israels Armee das Krankenhaus einnehmen?
Nach dem Massaker der Hamas am 7. Oktober in Israel hat sich das Land zum Ziel gesetzt, die militärische Kapazität der Terrororganisation «vollständig zu eliminieren». Experten halte einen Militäreinsatz in der Klinik deshalb für wahrscheinlich. Armeesprecher Richard Hecht sagte dazu, eine Entscheidung über das «wie und wann» sei noch nicht getroffen. Die Truppen müssten auch erstmal «reingehen und sehen, was da ist». Das «ultimative Ziel» sei, dass die Hamas kapituliere. Damit rechnet in Israel aber niemand.
Unklar ist auch, ob und wie viele Mitglieder der Hamas sich tatsächlich unter der Klinik verschanzt haben könnten. Angaben dazu machte das israelische Militär nicht. Auch aus palästinensischen Quellen gibt es dazu keine Informationen. Insgesamt soll die Hamas zwischen 30.000 und 40.000 Kämpfer vor Kriegsbeginn gehabt haben. Wie viele Hamas-Mitglieder seither getötet wurden, ist nicht bekannt.
Wie viele Menschen sind in dem Gebäude?
Mehr als 2000 Patienten, Vertriebene sowie medizinisches Personal sollen sich noch in dem Krankenhaus mit rund 700 Betten aufhalten. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation sind darunter zwischen 600 und 650 Patienten, rund 1500 Schutzsuchende sowie zwischen 200 und 500 Mitarbeiter der Klinik. Die Angaben beruhen auf Schätzungen des dortigen Gesundheitsministeriums, das von der Hamas kontrolliert wird. Augenzeugen bestätigten die Zahlen.
Palästinensischen Berichten zufolge hatten zuvor rund 50.000 Menschen im Bereich des Krankenhauses Zuflucht gesucht. Vor dem Gebäude waren Dutzende provisorische Zelte errichtet worden, wie auf Fotos und Videos zu sehen war. Ein Großteil der Vertriebenen sei mittlerweile weiter in den Süden geflüchtet, berichtete ein Angestellter der Klinik.
Wie ist die Lage vor Ort?
Mitarbeiter der Schifa-Klinik berichten von dramatischen Szenen. In der Nacht auf Montag sei das letzte Sauerstoffgerät abgeschaltet worden, sagte der Direktor der Klinik, Mohammad Abu Salamia. Das Fehlen von Treibstoff und Nahrungsmittel habe bereits zum Tod von Dutzenden Patienten geführt, teilte das Gesundheitsministerium mit, das von der Hamas kontrolliert wird. Unter den Toten sollen auch sieben Neugeborene sein. Bilder in sozialen Netzwerken sollen die toten Babys zeigen. Wann und wo die Aufnahmen entstanden sind, ist unklar.
Liefert Israel Treibstoff für die Generatoren in Schifa?
Israel gab zuletzt an, dass das Schifa-Krankenhaus sich weigere, Treibstoff anzunehmen. Auf vom Militär verbreiteten Aufnahmen war zu sehen, wie Soldaten rund ein Dutzend Kanister mit insgesamt 300 Liter Treibstoff in der Nähe des Schifa-Krankenhauses platziert haben sollen. Nach Angaben des Klinikchefs befürchtete das Team, beschossen zu werden, wenn es die Klinik verlasse. Zudem würde die Menge «keine Viertelstunde» für den Betrieb der Krankenhausgeneratoren reichen. Behauptungen Israels, dass die Ablehnung auf Druck der Hamas erfolgte, wies er als «Lüge und Diffamierung» zurück. Wenn Israel wirklich Treibstoff liefern wollte, hätte es diesen in Kooperation mit dem Roten Kreuz oder einer anderen internationalen Organisation schicken können, sagte er.
Wie geht es weiter mit dem Krankenhaus?
Die weitere Entwicklung ist völlig unklar. Nach Angaben der Klinik ist es «unmöglich», alle Patienten zu evakuieren. Der Klinikchef warnte bereits vor einer weiteren Verschlechterung der Lage und zahlreichen Toten, sollte sich die Situation nicht verändern.
Ob israelische Soldaten in das Krankenhaus eindringen, auch wenn sich Zivilisten darin befinden, bleibt abzuwarten. Israels Militär sagte zwar, bei der Evakuierung der Babys helfen zu wollen. Schritte in die Richtung waren am Montag aber nicht absehbar. Auch zur Evakuierung der weiteren, zum Teil schwer verletzten Patienten machte die Armee bislang keine Angaben.