Vorwürfe, UN-Hilfswerk

Das Ausmaß der mutmaßlichen Verbindung von Beschäftigten des UN-Hilfswerks zu Terroristen soll größer sein als angenommen.

30.01.2024 - 05:25:04

Neue Vorwürfe gegen UN-Hilfswerk in Gaza. Derweil wachsen die Sorgen vor einer Ausweitung des Krieges. Der Überblick.

Der Skandal um eine mutmaßliche Beteiligung einiger Mitarbeiter des UN-Palästinenserhilfswerks am Massaker der islamistischen Hamas in Israel zieht immer größere Kreise. Rund zehn Prozent aller rund 12.000 im Gazastreifen beschäftigten Mitarbeiter des Hilfswerks UNRWA hätten Verbindungen zur Hamas oder dem Islamistischen Dschihad, berichtete das «Wall Street Journal» unter Berufung auf ein israelisches Geheimdienstdossier.

Derweil sollen die Gespräche über eine mögliche neue Feuerpause im Gaza-Krieg und die Freilassung weiterer Geiseln in dieser Woche weitergehen. Während Washington bisher vorsichtig optimistisch ist, soll die Hamas laut israelischen Medienberichten erklärt haben, kein Abkommen zu akzeptieren, das nicht ein Ende des Kriegs und den Abzug aller israelischen Truppen aus Gaza beinhalte.

Blinken: UNRWA spielt unverzichtbare Rolle

Die Vorwürfe gegen zwölf UNRWA Beschäftigte wegen mutmaßlicher Beteiligung am Hamas-Massaker hatten weltweit für Empörung gesorgt. Als Reaktion stellten zahlreiche Staaten ihre Zahlungen an das Hilfswerk vorübergehend ein, darunter Deutschland, die USA, Großbritannien und Frankreich.

UN-Generalsekretär António Guterres will nach Angaben der UN am Dienstag in New York mit Vertretern von Geberländern zusammenkommen. Er hatte am Sonntag darauf hingewiesen, dass die derzeitige Finanzierung des UNRWA nicht ausreiche, um die zwei Millionen Zivilisten im Gazastreifen im Februar zu unterstützen.

US-Außenminister Antony Blinken forderte erneut eine schnelle Aufklärung der Vorwürfe. Das UN-Hilfswerk spiele «eine absolut unverzichtbare Rolle dabei, sicherzustellen, dass Männer, Frauen und Kinder, die in Gaza so dringend Hilfe benötigen, diese auch tatsächlich erhalten», sagte Blinken in Washington.

Israels Botschafter: UNRWA mit Terroristen unter einer Decke

Das UN-Hilfswerk feuerte die Mitarbeiter und will den Vorwürfen nachgehen. «Das Problem der UNRWA sind nicht nur 'ein paar faule Äpfel', die in das Massaker vom 7. Oktober verwickelt waren», zitierte das «Wall Street Journal» einen hohen israelischen Regierungsbeamten. «Die Institution als Ganzes ist ein Hort für die radikale Ideologie der Hamas», sagte der Beamte. «UNRWA steckt schon lange mit den Terroristen unter einer Decke», sagte Israels Botschafter in Deutschland, Ron Prosor, dem «Tagesspiegel». Schon die Attentäter des Münchner Olympia-Massakers von 1972 seien Absolventen von Schulen des UN-Hilfswerks gewesen.

Israel: 13 UNRWA-Mitarbeiter in Hamas-Massaker verwickelt

Israel hat Details zur mutmaßlichen Verwicklung mehrerer Beschäftigter des UN-Palästinenserhilfswerks UNRWA in das Hamas-Massaker vom 7. Oktober genannt. Insgesamt seien mindestens 13 Mitarbeiter der Organisation an den Terroranschlägen beteiligt gewesen, sagte Israels Regierungssprecher Eylon Levy. Zuvor war von zwölf Beschäftigten die Rede. Die Angaben seien aber noch nicht unbedingt vollständig, so Levy. «Es werden noch mehr Erkenntnisse ans Licht kommen.»

Der frühere UNRWA-Chef im Gazastreifen, Matthias Schmale, nannte den Zeitpunkt des Skandals im Deutschlandfunk «politisch bestimmt». Die Berichte seien kurz nach der Verkündung des IGH-Urteils aufgekommen.

Protest im Libanon gegen Zahlungseinstellungen für UNRWA

Im Libanon haben Menschen gegen die Entscheidung westlicher Staaten demonstriert, ihre Zahlungen an das UN-Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge vorerst einzustellen. Aufgerufen zu dem Protest vor der UNRWA-Zentrale in der libanesischen Hauptstadt Beirut hatte die islamistische Hamas. Vertreter palästinensischer Fraktionen, palästinensische und syrische Flüchtlinge im Libanon und Aktivisten nahmen teil.

Nach Angaben von UNRWA sind im Libanon derzeit rund 490.000 Menschen als palästinensische Flüchtlinge registriert. Ein Großteil davon ist auf die UN-Unterstützung angewiesen. Der libanesische Staat selbst sorgt nicht für sie. UNRWA betreibt im Libanon daher auch Kliniken und Schulen für die Menschen, die zum Teil schon seit Jahrzehnten mit nur eingeschränkten Rechten im Land leben.

UN-Koordinatorin für Gaza: Derzeit keine Alternative zu UNRWA

Die neue UN-Koordinatorin für humanitäre Hilfe für Notleidende im Gazastreifen, Sigrid Kaag, sieht derzeit «keinen Ersatz» für das umstrittene UN-Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA). Unter anderem angesichts der jahrzehntelang aufgebauten Kapazitäten und Struktur von UNRWA gebe es derzeit keine Möglichkeit, dass irgendeine andere Organisation das Hilfswerk auf die Schnelle ersetzen könne, sagte Kaag in New York.

Zuvor hatte die Niederländerin erstmals seit ihrem Amtsantritt um den Jahresbeginn den UN-Sicherheitsrat hinter verschlossenen Türen über die aktuelle Lage im Gazastreifen informiert.

USA: Wollen keinen Krieg mit dem Iran

Die US-Regierung hat unterdessen nach dem tödlichen Angriff proiranischer Milizen auf US-Militär in Jordanien deutlich gemacht, keine Eskalation mit dem Iran zu suchen. «Wir sind nicht auf einen Krieg mit dem Iran aus. Wir suchen nicht den Konflikt mit dem Regime auf militärische Weise», sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats, John Kirby, in Washington. Man wolle keinen weiteren Krieg und keine Eskalation. «Aber wir werden das tun, was erforderlich ist, um uns zu schützen, um diese Mission fortzusetzen und um angemessen auf diese Angriffe zu reagieren.»

Bei einem Drohnenangriff proiranischer Milizen in Jordanien in der Nähe der syrischen Grenze waren drei US-Soldaten getötet worden. US-Präsident Joe Biden machte «radikale, vom Iran unterstützten militanten Gruppen» für den Angriff verantwortlich und drohte mit Vergeltung. Dem «Wall Street Journal» zufolge sagten US-Regierungsvertreter, erwogen würden Militärschläge gegen Milizen im Irak in Syrien sowie womöglich im Iran. Ein Angriff auf iranischem Boden sei allerdings ein weniger wahrscheinliches Szenario, hieß es.

USA vorsichtig optimistisch im Gaza-Krieg

Die USA zeigten sich derweil vorsichtig optimistisch mit Blick auf eine mögliche neue Feuerpause im Gaza-Krieg und die Freilassung weiterer Geiseln. «Wir können noch nicht über ein bevorstehendes Abkommen sprechen, aber auf der Grundlage der Gespräche, die wir am Wochenende und in den letzten Tagen geführt haben, haben wir das Gefühl, dass es in eine gute Richtung geht», sagte Kirby in Washington.

Am Wochenende hatten Vertreter der USA, Israels, Ägyptens und Katars in Paris über eine neue Feuerpause beraten. Es seien gute Fortschritte gemacht worden, um zumindest den Grundstein für einen Weg nach vorne zu legen, sagte der katarische Ministerpräsident und Außenminister Mohammed bin Abdulrahman Al Thani dem US-Sender MSNBC.

Vor den Beratungen habe es eine klare Forderung nach einem dauerhaften Waffenstillstand gegeben - diese Möglichkeit bestehe, sagte Al Thani. Der «Times of Israel» zufolge pochte die Hamas am Montagabend in einer gemeinsamen Erklärung mit der Terrorgruppe Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) darauf, dass Israel seine «Aggression» beenden und sich aus Gaza zurückziehen müsse, bevor ein Abkommen zustande kommen könne. Laut Schätzungen befinden sich noch etwas mehr als 130 Menschen in der Gewalt der Islamisten.

Israel: Mindestens ein Viertel der Hamas ausgeschaltet

Nach israelischer Darstellung wurde inzwischen mindestens die Hälfte der Hamas-Kämpfer getötet oder verwundet. «Wir haben bereits mindestens ein Viertel der Hamas-Terroristen ausgeschaltet, und es gibt eine ähnliche Zahl verwundeter Terroristen», sagte Verteidigungsminister Joav Galant. Unabhängig lassen sich seine Angaben gegenwärtig nicht überprüfen. Wie das Nachrichtenportal «Axios» am Montag unter Berufung auf vier US-amerikanische und israelische Beamte berichtete, hat Galant der US-Regierung versichert, dass er und das Militär eine Wiederbesiedlung Gazas durch Israelis verhindern würden. Eine geplante Pufferzone in dem Gebiet werde vorübergehender Natur sein und nur Sicherheitszwecken dienen.

Israels Armee bestätigt Flutung von Hamas-Tunneln im Gazastreifen

Israels Armee hat erstmals bestätigt, Tunnel der islamistischen Hamas im Gazastreifen geflutet zu haben. Ziel sei es, «die unterirdische Terrorinfrastruktur im Gazastreifen zu neutralisieren», teilte das Militär mit. Dabei seien große Wassermengen in die Tunnel geleitet worden. Das Militär sprach von einem «bedeutenden technischen und technologischen Durchbruch» im Anti-Terror-Kampf.

Laut Armee wurde mit Bodenanalysen sichergestellt, dass bei den Flutungen das Grundwasser nicht beeinträchtigt werde. So sei nur in geeignete Tunnelrouten Wasser gepumpt worden. Die israelische Armee geht weiter auch mit Sprengungen vor, um Tunnel zu zerstören.

Hamas-Behörde: 114 Tote im Gazastreifen innerhalb eines Tages

Infolge der israelischen Angriffe auf den Gazastreifen sind nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde binnen 24 Stunden insgesamt 114 Palästinenser getötet worden. Die Zahl der Toten in dem Küstenstreifen seit Kriegsbeginn steige damit auf 26.751, teilte ein Sprecher der Behörde mit. Verletzt wurden demnach seither 65.636 Menschen. Die Zahlen lassen sich derzeit nicht unabhängig überprüfen.

Laut Israels Armee wurden seit Kriegsbeginn rund 10.000 Mitglieder terroristischer Gruppen im Gazastreifen getötet. Auch diese Angabe lässt sich derzeit nicht unabhängig verifizieren.

Blinken: Lage in Nahost gefährlich wie lange nicht mehr

Die Lage in Nahost ist nach Einschätzung von US-Außenminister Blinken so gefährlich wie lange nicht mehr. «Ich behaupte, dass wir in der gesamten Region seit mindestens 1973 - vielleicht sogar davor - keine so gefährliche Situation mehr erlebt haben wie jetzt», sagte Blinken in Washington bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Mit der Jahreszahl bezog er sich wahrscheinlich auf den Jom-Kippur-Krieg, der am 6. Oktober 1973 begonnen hatte, als eine Allianz arabischer Staaten unter Führung Ägyptens und Syriens überraschend Israel überfiel. Damals wurden mehr als 2600 israelische Soldaten getötet und mehr als 7000 verletzt.

Spezialkräfte töten in Klinik drei militante Palästinenser

Israelische Spezialkräfte haben in einem Krankenhaus im nördlichen Westjordanland drei militante Palästinenser getötet. Die Armee teilte mit, Ziel des Einsatzes in der Nacht zum Dienstag seien ein Mitglied der Terrororganisation Hamas sowie zwei weitere extremistische Palästinenser mit Verbindungen zum Islamischen Dschihad gewesen. Die Männer hätten sich in dem Ibn-Sina-Krankenhaus versteckt.

Videoaufnahmen aus dem Krankenhaus in der Stadt Dschenin zeigten, wie israelische Spezialkräfte teilweise als medizinisches Personal verkleidet in die Klinik eindrangen.

Die gesuchten Männer stammten den Angaben zufolge aus dem Flüchtlingsviertel der Stadt Dschenin, die als Hochburg militanter Palästinenser gilt. Das 27-jährige Hamas-Mitglied sei an verschiedenen Angriffen auf israelische Soldaten beteiligt gewesen und habe einen unmittelbar bevorstehenden Anschlag geplant, der «von dem Massaker am 7. Oktober inspiriert» gewesen sei. Er habe auch Verbindungen zur Hamas-Führung im Ausland gehabt. Die Angaben des Militärs ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen.

@ dpa.de