Angesichts der Kriege im Nahen Osten und in der Ukraine gerät die Konfliktregion Südkaukasus leicht aus dem Blick.
03.11.2023 - 17:00:42Baerbock ruft Armenien und Aserbaidschan zu Gesprächen auf. Die Außenministerin wirbt in Eriwan und Baku auch für mehr Nähe zu Europa.
Außenministerin Annalena Baerbock hat Armenien und Aserbaidschan zur Rückkehr an den Verhandlungstisch aufgefordert, um eine politische Lösung für ihren seit mehr als 30 Jahren dauernden Konflikt zu suchen. Die Vermittlungsbemühungen von EU-Ratspräsident Charles Michel «sind eine Brücke, die den schnellsten Weg zum Frieden aufzeigen kann», sagte die Grünen-Politikerin am Freitag nach einem Treffen mit ihrem armenischen Kollegen Ararat Mirsojan in der Hauptstadt Eriwan. «Darum ist es so wichtig, dass möglichst bald eine neue Verhandlungsrunde stattfinden kann», ergänzte sie.
Mirsojan sagte mit Blick auf die Lage in der Konfliktregion Berg-Karabach, Aserbaidschan habe sein Versprechen gebrochen, keine Kriegshandlungen vorzunehmen. «Armenien hat den Willen, den Weg des Friedens in der Region zu gehen», sagte er laut Übersetzung. Es gehe um die Anerkennung der territorialen Souveränität beider Länder. Armenien könne «zu einer Friedenskreuzung in der Region» werden, nicht nur für seine Nachbarländer, sondern die ganze Welt.
Berg-Karabach liegt auf aserbaidschanischem Gebiet, wurde jedoch mehrheitlich von Armeniern bewohnt. Das Gebiet hatte sich in den 1990er Jahren in einem blutigen Bürgerkrieg mit Hilfe Eriwans von Baku losgelöst. Die Armee von Aserbaidschan hatte die Kapitulation der lokalen Armee in Berg-Karabach am 19. September erzwungen. Mehr als 100.000 ethnische Armenier sind aus der Region geflohen.
Deutschland stockt humanitäre Hilfe auf
Baerbock sagte, Deutschland habe seit 2021 22 Millionen Euro an humanitärer Hilfe bereitgestellt. «Heute legen wir als Bundesrepublik Deutschland weitere 9,3 Millionen Euro für humanitäre Hilfe obendrauf.» Damit könnten jene Flüchtlinge schnell versorgt werden, die Hilfe am nötigsten bräuchten. «Das gibt den Menschen Hoffnung und bringt ein wenig Normalität für sie gemeinsam zurück.»
Baerbock will Alternativen zu Moskau und Teheran bieten
Für Baerbock geht es in Eriwan und Baku auch darum, beiden Ländern Angebote für eine noch engere Zusammenarbeit etwa im Wirtschafts- oder Wissenschaftsbereich zu machen. So sollen Alternativen zur Kooperation etwa mit Russland oder dem Iran eröffnet werden.
Baerbock kündigte einen Ausbau der Zusammenarbeit im Bereich Rechtsstaatlichkeit, beim Kulturaustausch und in den Bereichen Wirtschaft und Energie an, um die Widerstandsfähigkeit des Landes zu stärken. So könne das geplante Unterseedatenkabel durch das Schwarze Meer als Teil des sogenannten «Global Gateway»-Programmes der EU Armenien und Aserbaidschan untereinander und auch Europa näherbringen. Die Europäische Investitionsbank stehe bereit, fast die Hälfte der Gesamtkosten in Höhe von 45 Millionen Euro zu übernehmen.
Die «Global Gateway»-Initiative sieht vor, bis zu 300 Milliarden Euro in die Infrastruktur von Schwellen- und Entwicklungsländern zu investieren - auch um der EU mehr globalen Einfluss zu sichern. Am Samstag stehen für die Außenministerin Gespräche mit dem aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Aliyev sowie mit Außenminister Jeyhun Bayramov in der Hauptstadt Baku auf dem Programm.
Am Abend (Ortszeit) traf sich Baerbock mit dem armenischen Regierungschef Nikol Paschinjan. Paschinjan hatte sich im September enttäuscht über die bisherige Schutzmacht Russland geäußert. Die russischen Soldaten hätten die Karabach-Armenier nicht geschützt, wie 2020 vereinbart.
Besuch der armenischen Peacekeeping-Brigade
Im Hauptquartier der armenischen Peacekeeping-Brigade ließ sich Baerbock über die friedenserhaltende Arbeit der Soldaten informieren. Armenische Militärbeobachter werden regelmäßig auch von der Bundeswehr in Deutschland ausgebildet. Aktuell stellt die Einheit auch Personal für den internationalen Friedenseinsatz im Kosovo.
Gedenken an die Opfer des Völkermords an den Armeniern
An der Gedenkstätte für die Opfer des Völkermords an den Armeniern im Ersten Weltkrieg legte Baerbock einen Kranz nieder. Während des Ersten Weltkriegs waren Armenier im Osmanischen Reich systematisch verfolgt und auch auf Todesmärsche in die syrische Wüste geschickt worden. Historiker sprechen von bis zu 1,5 Millionen Opfern 1915 und 1916. Der Bundestag hatte 2016 eine Resolution beschlossen, die die Gräuel an den Armeniern vor 100 Jahren als «Völkermord» einstuft.